(Latex-)Kondome sind kein Plastik.

Latex-Kondome bestehen aus Latex. Latex ist pflanzlich. Latex ist grundsätzlich natürlich abbaubar (auch wenn es – wie man gerne bei Bedarf auf dem heimischen Komposthaufen studieren kann – recht lange dauert, bis es sich zersetzt hat; was aber auch irgendwie logisch ist, denn schließlich wurde da Material ja vorher extra bearbeitet, damit es lange hält…). Also geht mir bei solchen Texten das Messer in der Tasche auf:

Der erste beschriebene Plastikmüll im Meer waren Millionen benutzter Kondome […] Ein erster Bericht von Plastik im Ozean stammt vom britischen Autor Aldous Huxley (1894–1963), der am Strand von Santa Monica (USA) weisse Objekte wie tote Raupen entdeckte – Millionen benutzter Kondome aus dem Abflussrohr von Los Angeles.

So geschrieben von Daniel Arnet auf Blick.ch (Archiv) in einer Rezension zu Roman Kösters Buch «Müll».
Die Episode ist überliefert in Huxleys „Like Hyperion to a Satyr“ (1956) und bezieht sich auf einen Strandspaziergang, den er 1939 zusammen mit Thomas Mann und zwei Damen unternahm („the scale was American, the figures astronomical. Ten million saw I at a glance. Ten million emblems and mementoes of Modern Love“), wobei die Zahl der Kondome sicher nicht zu buchstäblich genommen werden sollte; ich glaube nicht, dass es einem Menschen möglich ist, eine Menge von angenommenen 10 Millionen Kondomen sicher auf einen Blick zu bestimmen – aber ja, es waren sicher sehr viele, und schön war es nicht. Aber es war kein Plastik (was Huxley auch nirgends behauptet hatte). Einen interessanten Bericht über das „verantwortliche“ Klärwerk (Hyperion sewage treatment plant) gibt es von Sarah Priscilla Randle in The Awl (Archiv), wo diese Episode auch erwähnt wird. Ein paar Jahre später spuckte das Klärwerk übrigens keinerlei Kondome mehr aus, was auch Huxley entsprechend und freudig bewegt notierte.
Nochmal: Kein Plastik. Und die 1939er Kondome dürfen binnen kurzer Zeit vom Seewasser zerfressen worden sein. Genau wie ihr Inhalt.
Nichtsdestotrotz hält sich hartnäckig irgendwo in deutschen Beamtenschädeln die Meinung, Latex (Gummi) wäre Plastik. Anders ist es nicht zu erklären, dass Luftballons(!) explizit und namentlich bei den demnächst zusätzlich mit einer Einwegkunststoffabgabe zu belastenden Artikeln aufgeführt werden (Anlage 1 des Einwegkunststofffondsgesetzes, siehe hier) – neben Plastiktüten, Zigarettenfiltern, Feuchttüchern, Getränkebehältern und anderem (aber ich will nicht meckern; Kondome stehen nicht drin, auch wenn sie materialtechnisch fast das gleiche sind wie Luftballons). Ausgenommen sind übrigens „Luftballons für industrielle oder gewerbliche Verwendungszwecke und Anwendungen, die nicht an Verbraucher abgegeben werden“, was ja komplett logisch ist, weil daraus ja nie und nimmer Müll wird…
Kondome aus Plastik – nämlich Polyurethan – wurden übrigens erst viele Jahre nach Huxleys Spaziergang erfunden. Als es schon weitaus bessere Klärwerke gab.

Deutsche Kondome

„Deutsch“ ist ein Adjektiv, das seit längerem und in inflationärem Maßstab an alles und jedes angehängt wird. Dabei bezieht es sich ursprünglich lediglich auf Menschen und bezeichnet deren Zugehörigkeit zu einer sich über eine gemeinsame Sprache und Kultur definierenden Gruppe.
Heute können sogar Kondome deutsch sein. Angeblich. So deutsch jedenfalls, dass man sich vor Gericht darüber streiten muss, weil dem einen die Kondome nicht deutsch genug sind, während sie dem anderen zufolge ausreichend deutsch sind, um deutsch genannt zu werden. Ein seltsames Land, dieses Deutschland.
„Made in Germany“ war ursprünglich eine zweifelhafte Zwangsauszeichnung, mit der sich die Briten vor minderwertiger Importware aus Deutschland schützen wollten – heute kloppt man sich vor Gericht darum, diese Bezeichnung verwenden zu dürfen.
Latexkondome bestehen aus einem Material (Latex, vulgo: Gummi), das aus Latexmilch hergestellt wird, die von einer Pflanze stammt, die in Deutschland weder natürlich vorkommt noch angebaut werden kann, nämlich der Latexpalme (auch als Gummibaum bekannt, wenngleich nicht mit dem bürgerlichen Amtsstubengummibaum zu verwechseln, aus dem man keine Kondome machen kann). Das gesamte Rohmaterial (mit Ausnahme, vielleicht, einiger Prozesschemikalien, aber das erfährt man ohnehin nicht) kann also schon mal nicht „deutsch“ sein. Sehr viele Produzenten nutzen allerdings Technik deutscher Firmen bei der Produktion von Kondomen – auch das macht die Kondome allerding keinen Deut deutscher als sie ohnehin nicht sind. Hm.
Wenn man den Ausführungen des Gerichts nun folgt, dann ist der wesentliche Produktionsschritt, der die Deutschheit eines Kondoms definiert, die Herstellung des Rohlings, die in einer auf deutschem Boden befindlichen Produktionsstätte erfolgen muss. Kommen die Rohlinge nämlich aus dem Ausland, darf das Kondom nicht mehr deutsch sein. Nun ja. Im Ganzen spricht das für eine ziemlich nach Bilderbuchwissen geformt Entscheidung, denn das Tauchen eines Glaskolbens in aufbereitete Latexmilchlösung lässt zum ersten Mal das Endprodukt „Kondom“ erahnen, also muss genau das der wesentliche Produktionsschritt sein, der in Deutschland zu erfolgen hat, damit die Endprodukte dann ausreichend deutsch sind – unabhängig davon, dass dies nur einer von vielen Produktionsschritten ist.

Was also macht Kondome deutsch? Es ist also weder das Material noch die Technik, auch nicht die Technologie bzw. das Produktionsverfahren, es ist nicht die Nationalität der produzierenden Angestellten, es ist auch nicht die Eigentümerschaft der Hersteller (dann wären Beiersdorf-Kondome ja deutsch, Billy Boy französisch und Durex amerikanisch), nein, all das ist unwesentlich. Die Tauchstation muss in Deutschland stehen.

Das Ganze ist irgendwie genau so skurril wie ein Streit von T-Shirt-Produzenten darüber, ob das Einnähen eines in Polen gedruckten Schildchens mit Waschhinweisen in das in China genähte, aus ägyptischer Baumwolle in Indien vorverarbeitete und über die französische Tochter eines amerikanischen Konzerns importierte und dann in einem vietnamesischen Laden im Türkenviertel an australische Touristen verkaufte T-Shirt selbiges zu einem deutschen Produkt macht, wenn es in Deutschland stattfindet…

Ich persönlich bevorzuge ja Kondome, die dort hergestellt werden, wo das Rohmaterial herkommt (wenn es geht, auch gerne nachhaltig produziert und fair gehandelt), denn die qualitätsentscheidende Komponente ist das Rohmaterial und seine Verarbeitung, nicht der Standort der Tauchstraße. Und das gilt eigentlich für eine ganze Menge Dinge, nicht nur für Kondome.

Also: macht nur weiter. Nächste Station: Bundesgerichtshof. Popcorn!

Schmiermittel? Brechmittel!

Wenn ich nicht schon genug graue Haare hätte, würde ich mir gerne noch welche wachsen lassen – angesichts solcher journalistischen Feinarbeit:

Traditionell wurde bei der Produktion von Kondomen die Zugabe von Casein, ein Protein aus Tiermilch verwendet, das als Schmiermittel wirkt.

Hier weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll… bei der Grammatik vielleicht?
-> richtig grammatisch korrekt wäre „von Casein, einem Protein aus Tiermilch, verwendet“
… oder bei der Semantik?
-> Entweder gibt man etwas zu, oder es wird verwendet.
… oder bei seltsamen Ausdrücken wie „Tiermilch“?
-> Im Normalfall bezeichnet man Kaseine allgemein als Milchproteine, konkret handelt es sich um Kuhmilch.
… oder bei Begriffen aus der falschen Branche, wie „Schmiermittel“?
-> Das, was man herstellerseitig auf Kondome drauf“schmiert“, nenn man Gleitmittel oder schlicht „Beschichtung“.

Egal. Absehen davon ist die Information schlicht falsch und irreführend. Viele Hersteller verwenden in der Tat noch Kaseine, aber diese werden nicht zugegeben (dann müssten sie auch deklariert werden), sondern nur – neben vielen anderen Dingen – als Hilfsstoff verwendet (sind also im fertigen Kondom höchstens noch als unausgefilterter Restbestand in mikroskopischer Menge enthalten), und Kasein dient auch nicht als Schmiermittel, sondern ist ein Hilfsstoff, um aus dem zähflüssigen Saft des Gummibaums (Latex) ein elastisches, dünnes Material (Gummi) herzustellen, aus dem man dann (unter anderem) Kondome machen kann. Oder Luftballons. Oder Handschuhe….

Kondome, bei deren Herstellung auf Kaseine verzichtet wird, gibt es auch, aber nicht viele. Aber hej, wer fragt schon nach korrekten Informationen, wenn man so unausgegorenen Quatsch zusammen mit einem Symbolfoto als Aufhänger für kistenweise Werbeanzeigen verwenden kann. Ach so, die Quelle: Yahoo! Finance, eine Hochburg des Qualitätsjournalismus.

Traditionell wird bei der Produktion von solchen Meldungen eine übergroße Portion Halbwissen eingesetzt, das bei mir als Brechmittel wirkt.

Herstellung von Kondomen

Heute (weil Sonntag ist) mal wieder ein wenig Bildung für alle Unwissenden und Neugierigen da draußen: Wie werden Kondome hergestellt?

Dieses Video zeigt den gesamten Prozess der Herstellung von Latexkondomen, angefangen von der Gewinnung des Rohmaterials bis hin zur Auslieferung der fertigen Kondome. Dieses Video stammt aus dem Herstellerbetrieb Medical Latex (DUA) Sdn. Bhd, einer 100%igen Tochter der Beiersdorf AG (BDF) Hamburg; produziert werden dort unter anderem Kondome der Marken Duo, Harmony und ESP.