Ein deutscher Kondomhersteller (!?)

Ach, guck an, das Twitter-Profil gibts immer noch:
Coripa auf Twitter
Es gab ja mal handfeste gerichtliche (und vorgerichtliche) Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen deutschen Unternehmen aus der Branche, wer denn nun wirklich seine Kondome mit „Made in Germany“ bewerben dürfe und wer nicht, oder sich auch nur „deutscher Qualität“ berühmen – aber dieses Profil ist immer noch online, obwohl Coripa Pressefoto Coripa schon seit 13 Jahren keine Kondome mehr ausliefert (die letzte jemals produzierte Charge hatte ein MHD bis 08/2013, aber schon ab Ende 2010 waren Coripa-Kondome nirgendwo mehr erhältlich). Coripa war, um es nach zu spät Geborenen zu erklären, ein „Me-Too“-Projekt, abgekupfert von den damals gerade aufkommenden TheyFit-Kondomen (heute MyOne), die zu der Zeit in Deutschland noch nicht erhältlich waren. Natürlich war Coripa zu keiner Zeit ein „deutscher Kondomhersteller“, auch wenn die Firma hinter der Marke von zwei Deutschen geführt wurde.

Heute gibt es ohnehin nur noch zwei Betriebe, die in tatsächlich in Deutschland Kondome produzieren – das ist einmal das Familienunternehmen Ritex in Bielefeld (bitte keine Diskussionen darüber, ob es Bielefeld nun gibt oder nicht – das Werk steht am Stadtrand, und ja, ich war schon dort, es existiert. Über den Rest der Stadt kann ich keine Auskunft geben; es war mir nicht möglich, das Zentrum zu erreichen, der Navi schickte mich immer wieder nach außen…) und zum anderen die MAPA in Zeven (Fromms, BillyBoy), die aber schon lange einem ausländischen Großunternehmen (Newell Brands) gehört. CPR in Sarstedt (SICO, Secura und viele andere Marken) – der ehemals Dritte im Bunde der „echten“ deutschen Hersteller – ist auch schon seit anderthalb Jahren insolvent und wird abgewickelt, kommt also nicht wieder. Und ja, ganz früher gabs auch noch andere. Aber das ist eine andere Geschichte.
Das Coripa-Profil hat, denke ich, nur deswegen noch keiner weggeklagt, weil derjenige dann mit ziemlicher Sicherheit auf den Abmahn- und Gerichtskosten sitzenbleiben würde – denn ich glaube nicht, dass da noch irgendwas zu holen ist. Selbst die automatische Twitter-News-Generierung ist seit 3 Jahren tot, die Domain coripa.com versteckt sich hinter einem Privatsphäre-Anbieter auf Island und hält auch keine Inhalt mehr vor, und die Firma existiert seit 4 Jahren nicht mehr Nur die Marke existiert noch (oder besser: wieder); die hat sich im Jahre 2014 die Fa. Naked TM LLC (neu) eintragen lassen.

Ritex und seine Zulieferer

impulseLesenswert: Wie ein Kondom hergestellt wird. Nicht wegen eventueller Informationen über den eigentlichen Herstellungsprozess (die findet man dort nicht; dazu gibt es aber für die, die es interessiert und die es immer noch nicht wissen, woanders eine ganze Menge Videos), sondern wegen der Informationen über die verschiedenen Zulieferer, die letztlich auch alle an der Produktion eines Kondoms beteiligt sind – vom Hersteller der Maschinen über die Lieferanten der Farb- und Zusatzstoffe bis zu den unverzichtbaren Produktionshilfsmitteln wie Maisstärke (ja, wirklich).
Allerdings (nicht dass Ihr denkt, ich hätte mal nichts zu meckern!) frage ich mich, warum es laut Untertext nur um „die 16 Zentimeter langen Kondome von Ritex“ geht; meines Wissens hat Ritex so kurze Kondome gar nicht im Angebot (Standardlänge ist 180mm), oder?

Natürlich konnte man sich einen Seitenhieb auf einen kürzlich gerichtlich niedergekämpften Konkurrenten nicht verkneifen: „Die Konkurrenz vertreibt in Deutschland fast ausschließlich im Ausland gefertigte Kondom-Rohlinge“ ist im Mouse-Over zu lesen. Nun, das trifft sicherlich auf viele Marken zu, von Amor über My.Size bis Durex und andere, aber „fast ausschließlich“ ist meines Erachtens überzogen. Mapa (Billy Boy) und CPR (Sico, Secura, …) beispielsweise produzieren gewiss nicht weniger als Ritex (wenn nicht gar mehr?), und ebenfalls in Deutschland.
Ob es sinnvoller ist, Latexmilch in Containern wochenlang über die Weltmeere schippern zu lassen, oder diese gleich vor Ort – quasi „frisch“ – zu verarbeiten und die fertigen Rohlinge zu versenden, ist sicher Ansichtssache; dass im Ausland gefertigte Kondome zwangsläufig schlechter sein müssen als einheimische, wird sicher nicht einmal Ritex behaupten wollen 🙂

Deutsche Kondome

„Deutsch“ ist ein Adjektiv, das seit längerem und in inflationärem Maßstab an alles und jedes angehängt wird. Dabei bezieht es sich ursprünglich lediglich auf Menschen und bezeichnet deren Zugehörigkeit zu einer sich über eine gemeinsame Sprache und Kultur definierenden Gruppe.
Heute können sogar Kondome deutsch sein. Angeblich. So deutsch jedenfalls, dass man sich vor Gericht darüber streiten muss, weil dem einen die Kondome nicht deutsch genug sind, während sie dem anderen zufolge ausreichend deutsch sind, um deutsch genannt zu werden. Ein seltsames Land, dieses Deutschland.
„Made in Germany“ war ursprünglich eine zweifelhafte Zwangsauszeichnung, mit der sich die Briten vor minderwertiger Importware aus Deutschland schützen wollten – heute kloppt man sich vor Gericht darum, diese Bezeichnung verwenden zu dürfen.
Latexkondome bestehen aus einem Material (Latex, vulgo: Gummi), das aus Latexmilch hergestellt wird, die von einer Pflanze stammt, die in Deutschland weder natürlich vorkommt noch angebaut werden kann, nämlich der Latexpalme (auch als Gummibaum bekannt, wenngleich nicht mit dem bürgerlichen Amtsstubengummibaum zu verwechseln, aus dem man keine Kondome machen kann). Das gesamte Rohmaterial (mit Ausnahme, vielleicht, einiger Prozesschemikalien, aber das erfährt man ohnehin nicht) kann also schon mal nicht „deutsch“ sein. Sehr viele Produzenten nutzen allerdings Technik deutscher Firmen bei der Produktion von Kondomen – auch das macht die Kondome allerding keinen Deut deutscher als sie ohnehin nicht sind. Hm.
Wenn man den Ausführungen des Gerichts nun folgt, dann ist der wesentliche Produktionsschritt, der die Deutschheit eines Kondoms definiert, die Herstellung des Rohlings, die in einer auf deutschem Boden befindlichen Produktionsstätte erfolgen muss. Kommen die Rohlinge nämlich aus dem Ausland, darf das Kondom nicht mehr deutsch sein. Nun ja. Im Ganzen spricht das für eine ziemlich nach Bilderbuchwissen geformt Entscheidung, denn das Tauchen eines Glaskolbens in aufbereitete Latexmilchlösung lässt zum ersten Mal das Endprodukt „Kondom“ erahnen, also muss genau das der wesentliche Produktionsschritt sein, der in Deutschland zu erfolgen hat, damit die Endprodukte dann ausreichend deutsch sind – unabhängig davon, dass dies nur einer von vielen Produktionsschritten ist.

Was also macht Kondome deutsch? Es ist also weder das Material noch die Technik, auch nicht die Technologie bzw. das Produktionsverfahren, es ist nicht die Nationalität der produzierenden Angestellten, es ist auch nicht die Eigentümerschaft der Hersteller (dann wären Beiersdorf-Kondome ja deutsch, Billy Boy französisch und Durex amerikanisch), nein, all das ist unwesentlich. Die Tauchstation muss in Deutschland stehen.

Das Ganze ist irgendwie genau so skurril wie ein Streit von T-Shirt-Produzenten darüber, ob das Einnähen eines in Polen gedruckten Schildchens mit Waschhinweisen in das in China genähte, aus ägyptischer Baumwolle in Indien vorverarbeitete und über die französische Tochter eines amerikanischen Konzerns importierte und dann in einem vietnamesischen Laden im Türkenviertel an australische Touristen verkaufte T-Shirt selbiges zu einem deutschen Produkt macht, wenn es in Deutschland stattfindet…

Ich persönlich bevorzuge ja Kondome, die dort hergestellt werden, wo das Rohmaterial herkommt (wenn es geht, auch gerne nachhaltig produziert und fair gehandelt), denn die qualitätsentscheidende Komponente ist das Rohmaterial und seine Verarbeitung, nicht der Standort der Tauchstraße. Und das gilt eigentlich für eine ganze Menge Dinge, nicht nur für Kondome.

Also: macht nur weiter. Nächste Station: Bundesgerichtshof. Popcorn!