Leck mich doch

Lecktücher sind was feines. Fast wie Kondome. Waren ja auch schon öfter ein Thema hier bei mir. Es gibt die in verschiedenen Varianten – vom zertifizierten Medizinprodukt („piece of polymer film that prevents the transmission of micro-organisms, which can cause sexually transmitted infections“ usw., ISO 29942) bis zum einfachen (nicht-medizinischen) Latextuch, das man verwenden kann, wie man möchte, das aber nicht unbedingt zur Verhinderung von Ansteckungen geeignet ist. Wie auch immer so ein Lecktuch daherkommt, bei seriösen Produkten steht Verwendungszweck und Produktklassifizierung auch korrekt drauf und lässt sich (bei Medizinprodukten) auch verifizieren – da weiß man, was man hat, um einen alten Werbespruch zu paraphrasieren 🙂

Und dann gibt es so ein paar Möchtegern-Medizinprodukte; eines hatte ich ja vor kurzem schon erwähnt, und ein anderes ist mir auch noch aufgefallen, diesmal von einem deutschen Anbieter. Der geht nun einen anderen Weg – er verzichtet gänzlich auf schräge Zertifikate und andere Nachweise, er versucht auch nicht, ein Tuch als Variante eines Kondoms zu verkaufen – nein, er nutzt einen radikalen, ja fast schon minimalistischen Ansatz: Keine CE-Zeichen, keine Angaben zum Hersteller, keine Angaben zum Material oder seinen Eigenschaften, keine LOT-Nummern oder Verfallsdaten oder gar neumodisches Zeug wie UDIs, nichts. Dafür dann aber:

  • Premium Lecktuch
  • medizinisch zugelassen
  • Schutz vor Kehlkopfkrebs-verursachenden Viren
  • anti-allergisch
  • ohne Aroma & Zusatzstoffe
  • minimiert das Risiko einer HPV-Übertragung
  • in Deutschland gefertigt
  • deutsche medizinische Zulassung

Natürlich habe ich mal nachgefragt beim Anbieter nach der „deutschen medizinischen Zulassung“ (keine Reaktion) und auch mal eine Packung gekauft (hätte ja sein können, dass da noch was innen drin ist, wie eine Anleitung oder ordentlich gekennzeichnete Einzelverpackungen – war aber nicht). Das 20×25 cm große Stück Folie (dessen Materialzusammensetzung ich mangels geeignetem Labor nicht identifizieren konnte) sieht leicht trübe aus und ist zusammengefaltet in einer ungekennzeichneten Verpackung verstaut, die aussieht wie eine Kondomfolie (nur mit 8×8 cm etwas größer) und entsprechend innen metallisch beschichtet ist, siehe Abbildung rechts.

Wenn man aber nach der Website geht, ist das das superste Produkt überhaupt:

Über einen Zeitraum von 5 Jahren entwickelt, zeichnet sich unser Lecktuch durch seine Federleichtigkeit und ultra-dünne Beschaffenheit aus, was ein maximales Gefühlsempfinden garantiert. Unsere Dental Dams sind anti-allergisch und frei von Aromen, was sie zur optimalen Wahl für Menschen mit empfindlicher Haut macht und gleichzeitig das Risiko einer HPV-Übertragung, dem Hauptverursacher von Kehlkopfkrebs, reduziert. […] In Deutschland nach höchsten Qualitätsstandards gefertigt, garantiert jedes unserer Lecktücher, auch Dental Dams genannt, Premium-Qualität. Jedes Stück wird sorgfältig gefertigt, um Langlebigkeit und Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Mit unserem Lecktuch können Sie das Risiko von sexuell übertragbaren Krankheiten und Kehlkopfkrebs erheblich reduzieren. Doch unser Engagement endet nicht bei der Qualität unserer Lecktücher. Wir legen großen Wert auf Nachhaltigkeit, deshalb sind unsere Dental Dams 100% recyclebar.

Ich lass das mal unkommentiert so stehen.

Um das noch mal klarzustellen: Lecktücher müssen keine Medizinprodukte sein; wenn sie aber als geeignet zur Vermeidung von Ansteckungen beworben werden, sind sie welche – und müssen dann auch den gängigen Vorschriften entsprechen.

Nicht verkehrsfähig? Ach, scheiß drauf.

Wie schon im vorigen Beitrag angedeutet, gibt es für Kondome gewisse Regeln, die man einhalten muss, wenn man sie auf den Markt bringen will. Die meisten davon sind auf irgendeiner Ebene sinnvoll, manche erscheinen überzogen, und manche nerven. Klar, Kondome sind Medizinprodukte, wissen wir alle, aber echt jetzt. Kondome. Stück Gummi übern Schniepel. Sonst nichts.
Aber hey, ja. Isso. Man kann das relativ locker sehen und sich auf das Wesentliche konzentrieren, oder man kann den Erbsenzähler raushängen lassen. Was man aber nicht kann tun sollte, ist sich einfach darüber hinwegzusetzen und alles auf einmal zu ignorieren.

Momentan kann man (direkt beim Anbieter, einer deutschen Firma) und auch über den einen oder anderen großen Onliner (der es eigentlich besser wissen sollte) eine Sorte Kondome kaufen, die man auch dann nicht annähernd als verkehrsfähig bezeichnen könnte, wenn man beide Augen zudrückt – die Packungen sind falsch bzw. unzureichend gekennzeichnet (so fehlen unter anderem die Angaben zum Hersteller, zur Verantwortlichen Person (EC-REP) und zum Importeur/Inverkehrbringer, die MD-Kennzeichnung, der Pflichthinweis auf die innenliegende Benutzungsanleitung und leider auch die die Benutzungsanleitung als solche. Bei einer Variante fehlt zudem auf der einzelnen Kondomverpackung die Angabe zu LOT und Haltbarkeit (oder ist schwarz auf schwarz gedruckt, was auf dasselbe hinausläuft). Abgesehen davon enthält die Beschriftung der Packungen noch falsche Angaben – die aufgedruckten 52 bzw. 56 mm sind nicht, wie angegeben, der Durchmesser, sondern die nominale Breite (die auch als solche eine Pflichtangabe darstellt, im Gegensatz zum Durchmesser), und der Claim „Made in Germany“ ist nicht zutreffend, wenn die Ware in China produziert wurde. Auch mit der Größenangabe selbst wurde offensichtlich etwas geschummelt; die „56mm“-Kondome ergeben beim Nachmessen nur 53mm, die „52mm“-Kondome kommen nur auf 49mm nominale Breite…

Egal. Merkt ja keiner. CE drauf, auf mehr achtet eh keiner (falls überhaupt). Hauptsache „eine ästhetische und diskrete Verpackung“ und „intuitiv, elegant und fast zu schön für die Nachttischschublade“ mit „sunny side up“. Vielleicht noch ein paar Buzzwords auf die Packung? Aber gerne doch: „frei von Glyzerin, Parabenen, Spermizid und schädlichen Chemikalien“, ein wenig „natürlichen Naturkautschuklatex“ brauchen wir auch, und natürlich muss „vegan“ mit drauf. Dazu nehmen wir irgendeinen Text zur Aufbewahrung, den wir von woanders abschreiben (dass da „Siegelbriefchen“ steht, aber die Tüte gar keine enthält… wen stört’s).

Viel Hype um nichts eins

Ich hab sie ja bisher hier vermieden, die Einhörner (das sind die, die es geschafft haben, für ein variationsloses Gutmenschenkondom fünf- oder sechsstellige Beträge crowdzusourcen, um einen großen Teil davon in sinnlosen Rechtsstreitigkeiten zu verplempern, die sie sich mit ein wenig rechtzeitigem Wissenserwerb hätten sparen können), weil sie eigentlich nichts Neues auf den Markt gebracht haben; und über ein einziges Kondom zu reden (lasst Euch nicht von den bunten Tüten täuschen, da ist überall das gleiche drin) lohnt die Mühe nicht.

sad unicornJa, man wolle ein veganes Kondom erfinden (gabs leider schon mehr als ein Jahrzehnt vorher, kann man ja nicht wissen) und man wollte ein Fair-Trade-Kondom erfinden (gabs auch schon lange vorher, konnte man ja nicht ahnen), und man wollte das Kondom von manchen Zwängen des Medizinprodukterechts befreien (was zwar nicht klappte, aber zumindest den schönen Slogan „Das Orgasmuspaket – bekannt aus dem Gerichtssaal“ auf die Homepage brachte).

Nun geht man noch einen Schritt weiter. Um das Kondom selbst ist es ja ruhig geworden (es ist kein schlechtes Kondom, bitte nicht falsch verstehen, sondern ein einfaches, solide, zuverlässiges Standardkondom ohne Extras, alles geprüft und wie es sich gehört): mit der selbst verordneten Neusprech-„Fairstainability“ kommt man seit Jahren ja nicht so richtig weiter, die Druckqualität der multiorgasmischen Chipstüten ist auch nicht besser geworden, also wird zum Befreiungsschlag ausgeholt. Im Video-Interview befreit sich der Chef nun von lästigen Chef-Pflichten, die Mitarbeiter vom (weisungsgebundenen) Mitarbeiten und sich selbst von jedem Rest Glaubwürdigkeit – nein, nicht ganz: dass er, wie er sagt, damit reich werden will, glaubt man natürlich schon.

Seit August 2016 dürfen die Mitarbeiter dort nicht nur ihr Gehalt selbst bestimmen und unbegrenzt Urlaub nehmen, das Team ging sogar noch einen Schritt weiter. „Beide Gründer haben ein Manifest unterschrieben, dass kein Mitarbeiter mehr weisungsgebunden ist“, erklärt Zeiler. […] Immerhin spare es jede Menge Kosten […]. Außerdem habe er lästige Chef-Aufgaben […] so an das Team outgesourct. Die Mitarbeiter müssten jetzt nur noch lernen, mit der ganzen Verantwortung umzugehen.

(Quelle: gruenderszene.de) Alles schön. Peace. Live long and prosper. Oder so.

Kritik an dem Konzept kann Zeiler nicht nachvollziehen.

CE-Irrtümer

Immer wieder stolpere ich im Zusammenhang mit der CE-Kennzeichnung über Ausdrücke wie „CE – europäisches Gütesiegel“, „CE-geprüfte Kondome“, „CE-zertifizierte Kondome“, „CE-Siegel“, „CE-Gütezeichen“, „CE-Prüfsiegel“ und so weiter, und es ärgert mich – insbesondere, wenn es von Leuten verwendet wird, die es eigentlich besser wissen müssten.

CE bedeutet schlicht und einfach „Conformité Européenne“ – es handelt sich um ein Konformitätszeichen. Es ist kein Gütezeichen oder Prüfsiegel.

Durch die Anbringung des CE-Zeichens erklärt der Hersteller bzw. Importeur, dass sein Produkt den entsprechenden EU-Normen und -Richtlinien entspricht. Bei Medizinprodukten (zu denen das Kondom gehört) ist eine einfache Konformitätserklärung nicht ausreichend; hier wird (in der Regel im Rahmen eines Audits nach ISO 13485:2003) das Unternehmen für die Herstellung dieser Produkte nach der EU-Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG zertifiziert; die Zertifizierung bezieht sich also auf das Unternehmen und den Produktionsprozess der entsprechenden Produkte, nicht auf das einzelne Produkt selbst. Die Nummer der sogenannten „Benannten Stelle“ (also des Unternehmens, das die Zertifizierung vorgenommen hat) ist dann direkt am CE-Zeichen mit anzubringen, so dass der Verbraucher bei Interesse prüfen kann, ob das Zertifikat korrekt und aktuell ist.

Rückseite einer Packung Blausiegel Sensitive (latexfreie Kondome)Beispiel gefällig? Gerne. Nehmen wir mal – weil ich sie gerade hier liegen habe – eine Packung Blausiegel Sensitive (siehe Abbildung). Dort steht rechts „CE 0123“. Wir müssen nun also die Benannte Stelle „0123“ finden – das geht am schnellsten über das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (kurz: DIMDI), wo wir in der nach Kennnummern sortierten Liste unter der Nummer 0123 die TÜV SÜD Product Service GmbH finden. Adresse und Telefonnummer sind auch leicht zu finden. Auf der Website des TÜV Süd kann man die Zertifikats-Datenbank aufrufen und dort nach dem Hersteller „Sagami“ suchen (im rechten Dropdownfeld bitte „Datenbank (alle Felder)“ wählen) – in der Liste dann anklicken, und voilà – schon hat mal alle Details. Und richtig, Sagami (die für die Mapa GmbH die „Blausiegel Sensitive“ in Malaysia herstellt) hat ein gültiges Zertifikat (Nummer G1 10 07 40297 011) für die Herstellung von Kondomen aus Polyurethan.

Alles klar? Die einzigen Kondome, die (hier in der EU) kein CE-Zeichen brauchen, sind Scherzkondome (logisch, denn das sind ja keine Medizinprodukte, sondern Scherzartikel). Woanders sieht das natürlich anders aus – aber dazu ein andermal.