Auf die Ohren, fertig, los!

Zum Jahresende gibts mal was auf die Ohren – und zwar eine Podcast-Folge mit dem Titel Julius Fromm, oder: Wie die Nazis ein Kondom-Imperium an sich rissen (51 MB, 37 min.):

„Fromms zieht der Edelmann beim Mädel an“, sang man in den 1930ern im Kabarett. Was man später nicht mehr wahrhaben wollte ist, dass der Mann, der die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten an der Front und gezielte Familienplanung ermöglichte, ein Jude war.

„Der Mann, der die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten … ermöglichte“ ist natürlich haargenau daneben gegriffen. Das kommt davon, wenn man bei den Verben zu sparsam ist 🙂 Nichtsdestotrotz: Lasst Euch von dem etwas martialischen Intro und den zu deutlich hörbaren Schnittpausen nicht stören und hört mal rein.

Wir brauchen ein Sondervermögen

Gestern hatte ich ja noch gelästert, dass die Schweiz für das Projekt „Verhütungsmittel kostenlos für alle“ ein Sondervermögen lockermachen müsste; und heute lese ich, dass es auch bei uns Bestrebungen in diese Richtung gibt. Die sind zwar von den Forderungen her nicht ganz so umfangreich – aber wenn man bedenkt, was selbst einfachste Projekte in dieser unserer Bundesrepublik so für Geld verschlingen, so können wir uns dafür das nächste Sondervermögen bereitlegen (schließlich haben wir ja eine „Notlage“, da sind neue Schulden ja kein Problem):

Die Bundesregierung hat sich im aktuellen Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass es Krankenkassen ermöglicht werden soll, Verhütungsmittel als Satzungsleistung zu erstatten. Insbesondere bei Geringverdiener*innen sollen die Kosten übernommen werden. Die Bundesregierung kündigte ebenfalls an, die Forschungsförderung für Verhütungsmittel für alle Geschlechter anzuheben. Zur Halbzeit der Legislatur wurde bislang keines der genannten Vorhaben verwirklicht.

So ist es unter dem Titel Verhütung ist Menschenrecht! (Archiv) zu einer „Dokumentation der Paritätischen Fachtagung zur Kostenfreiheit von Verhütungsmitteln“ zu lesen. Das verlinkte PDF-Dokument (Archiv) erläutert Näheres und ist – im Vergleich zur der Schweizer Initative von gestern – zwar auf den ersten Blick etwas realistischer, was die geforderten Kostenübernahmen angeht, in der Konsequenz wird jedoch auch wieder „alles muss bezahlt werden“ gefordert:

pro familia fordert […] den Rechtsanspruch für alle Menschen und präzisiert: Die Kostenübernahme für alle Verhütungsmittel und -methoden zur Familienplanung für alle Menschen sollen über die Krankenkassen sichergestellt werden. […] Insbesondere Menschen mit wenig Geld sind auf eine schnelle gesetzliche Lösung angewiesen. Aufgrund dieser Dringlichkeit auch im Sinne der sozialen Gerechtigkeit fordert pro familia deshalb in einem ersten Schritt, den Rechtsanspruch auf kostenfreien Zugang zu allen Verhütungsmitteln für Menschen mit wenig Einkommen zu garantieren.

Nun ja. Seufz. Über Gratis-Kondome habe ich schon viel geschrieben. Und zu Leuten, die alles und jedes „vom Staat“ (also von meinen Steuern) bezahlt haben wollen, habe ich auch eine dedizierte Meinung. Erinnert sich noch jemand an den großen Aufriss, als es um die Mehrwertsteuersenkung für Periodenprodukte ging? Was das alles an finanziellen Freiheiten für die Frauen bringen würde? Nein? Und Gratis-Tampons für alle, die sich als Frau identifizieren? Auch nicht?
Um das noch einmal klarzustellen: Ich habe nichts gegen gratis Kondome für Geringverdiener. In anderen Ländern kann man sich auch einfach welche „holen“, wenn man sich keine leisten kann (bei uns geht das auch, man muss halt nur wissen, wo – denn „einfach“ geht bei uns nicht). Die Kosten für die öffentliche Hand sind überschaubar und kalkulierbar. Aber alles für alle? Nope. Recht auf Wohnraum heißt ja auch nicht „Villen für jeden“. Der Staat kann (und muss) für die, um die er sich kümmern muss, die Grundlagen sicherstellen und nicht eine Rundum-Vollversorgung anbieten. Zum Verhüten sind einfache Kondome im Normalfall vollkommen ausreichend (und einfach anzuwenden, sicher, nebenwirkungsfrei, non-invasiv… aber ich wiederhole mich).

Kondomconcierge, anyone?

Einhorn mal wieder. Man sucht einen neuen Mitarbeiter (Archiv).

einhorn aus Berlin produziert nachhaltige Kondome und Periodenprodukte aus regenerativer Landwirtschaft. Magisch und mit jeder Menge Tamtam!

Das mit dem Tamtam kenne ich. Magie… nun ja. Wenn Leute heutzutage ihr Geschlecht selbst bestimmen können, warum sollen sie sich nicht auch als Magier definieren können. Das ändert zwar nichts an der Tatsache, dass die Produkte ganz normal produziert werden (wie andere Produkte auch), aber was solls. Magie!!! Produktionsprozesse begreift doch eh‘ keiner mehr. Wo ist die Sendung mit der Maus, wenn man sie mal braucht…
Man sucht aber natürlich keinen Zauberer, sondern nur einen … Türsteher. Besucher-Abwimmler. Pförtner. Gefängniswärter? Also einen „Concierge“, einen „Kondom-Concierge“ (WTF?) gar:

einhorn ist eine Purpose Company. Du arbeitest also nicht für Investor*innen oder um die Gründer*innen reich zu machen. einhorn kann außerdem nicht verkauft werden, schüttet keine Gewinne aus und gehört sich selbst. Das bist du: Ein*e B2B Sales Manager*in (mit magic) aka Kondomconcierge. Make Magic Happen! Unter diesem Hashtag tragen wir seit 7 Jahren unsere Produkte und Messages in die Welt. Ob Kondome, Menstruationstasse oder Tampons. Von dir erwarten wir nichts Geringeres, als ein bisschen mit unseren Produkten zu zaubern.

Ah…. ja. Dass Euch hier die Begriffe bunt durcheinanderpurzeln, ist bestimmt dieser „Magie“ geschuldet; die konkrete magische Ausgestaltung der Firma kann sich ja heutzutage jeder aus dem Handelsregister kostenlos ziehen. Da steht dann auch drin, wem die Firma gehört (der „Vladiglobe Ventures UG“, der „Dinosaur Ventures UG“ und der „Purpose Stiftung gGmbH“; was für ein Kindergarten mit Zeitgeistanstrich), und von da aus kann man sich dann gerne weiter durchhangeln. Ist schon interessant, wie kapitalistisch das Ganze hingegen in der Realität, fernab von Glitzerstaub, tatsächlich funktioniert (Die zuletzt veröffentlichte Bilanzsumme der einhorn products GmbH liegt im Jahr 2021 bei 2,3 Mio. €. Der Unterschied zum Vorjahr liegt bei -17,5%.), Magie hin oder her.
Natürlich wird keinerlei formelle Qualifikation verlangt (das wäre ja bestimmt irgendwie diskriminierend), „Gespür/Skills für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge + Preiskalkulation“ reicht; offensichtlich ist es viel wichtiger, zu den Benachteiligten zu gehören:

Wir wertschätzen Vielfalt und begrüßen daher besonders Bewerbungen von Menschen, die Diskriminierungen wie Trans-, Homo- und Bifeindlichkeit, Rassismus, Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung), Klassismus (Diskriminierung hinsichtlich der sozialen Schicht), Ageismus (Diskriminierung hinsichtlich des Alters) oder Sexismus erfahren.

Also: Man sucht ein/e* zaubernde/s pförtnernde/s Diskriminierungsopfer*in mit Schublade („Du verwandelst B2B-Retailer in Stammgäste […]und wenn mal was nicht klappt… na dann hast du immer ein paar Überraschungen in deiner Schublade um doch noch allen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.“) als „einhorn tripadvisor of excellence“ („fließende Deutsch- und Englischkenntnisse“). Und „statt Broadway Show gibt es einen Blick hinter die Kulissen der Menstruationstasse“.
Na, wenn das mal kein Top Job ist. Ach: „Für diesen Job haben wir leider keine Infos zum Gehalt“, schreibt die veröffentlichende Plattform. Na so was.

Verhüllen statt verhüten

… kann man mit einem Kondom auch, habe ich gerade gelernt. Also nicht mit jedem Kondom natürlich, sondern nur mit einem speziellen, dem sogenannten „Euro-Kondom“, das vor 14 Jahren(!) von einem gewissen Ingo Maurer vorgestellt wurde (und von dem – also sowohl dem Kondom als auch dem Herrn Maurer – ich bisher nichts gewusst habe), einem, so Bild der Wissenschaft (Archiv), damals 77 Jahre alten renommierten Lichtdesigner, der mit dem damals gerade langsamen beginnenden Glühlampenverbot (anfangs ging es ja nur gegen matte Birnen, später gegen alles, was nicht bei drei auf den Bäumen „energiesparend“ war) absolut nicht nicht einverstanden war:

Seit September sind fast alle matten Glühbirnen verboten, weil sie angeblich weniger effizient sind. Für klare Birnen haben wir „ Euro-Condom“ entwickelt – einen Silikonüberzug, der das Licht einer matten Birne erzeugt.

Das war 2009, wie gesagt. Die Älteren unter Euch werden sich noch erinnern. Für Jüngere wird sich der Begriff „Glüh-Birne“ nur noch in historischem Zusammenhang erschließen lassen.
Es gibt übrigens, sagt Youtube, auch ein Video zu diesem Kondom:

auch DesignBoom (Archiv) hatte was dazu (mit Bildern).

as from september 2009 frosted bulbs will be banned in accordance with new EU guidelines on light sources because they are said give off less light than clear bulbs. however, according to the specifications of various manufacturers the difference, measured in lumens, is negligible or not existent. protect yourself from stupid rules, use the euro condom!

Nun ja. Das Kondom selbst ist halt nur ein Silikon-Überzieher, insofern nichts besonderes, aber die Idee zählt. Ich weiß auch nicht, ob es dieses Teil in nennenswerten Mengen mal irgendwo zu kaufen gab; ein paar einzelne geistern noch gelegentlich durch diverse Kleinanzeigenportale. Ingo Maurer ist übrigens schon 2019 gestorben, weiß Wikipedia.
(Disclaimer: Ich besitze noch ein paar echte Glühbirnen. Ich mag das warme Licht.)